Dompteurin der Dinge
Bazon Brock
Ausschnitt aus der Transkription eines Vortrags
im Kunst Raum Villach am 30. 3. 2023
Die Mission von Isabel Belherdis ist ganz eindeutig. Der zentrale Begriff lautet Metamorphose, wie sie seit der augusteischen Zeit über Goethes Metamorphose der Pflanzen bis in die Gegenwart als Idee entwickelt wurde. Isabel ist also eine klassische Metamorphotikerin. Sie beschäftigt sich mit der Frage der Überführung einer Form in eine andere, beispielsweise auf dem Wege der Überblendung: Was scheint nach fünf Überblendungen noch durch? Das ist das Verfahren der Palimpseste, das heißt der immer erneuten Überschreibung eines bestimmten Aussagenfeldes, eines bestimmten Gedankenfeldes. In den hier gezeigten Werken ist Metamorphose aber noch auf eine andere Weise zu beobachten: im Hinblick auf Isabels Grunderfahrung, die Welt als Architektur zu sehen. Der Begriff der Architektur meint hier, dass die Innenwelt des Menschen als gesamtes psychisches Potenzial seiner Entäußerungsfähigkeit architektonisch verstanden werden muss.
Die Arbeit der künstlerischen Reflexion als Auto-Kommunikation, die Isabel betreibt – sie nennt das Auto-Performance – ist eine selbstbezügliche Entfaltung der eigenen Lebendigkeit. Performieren heißt ja nichts anderes, als sich lebendig zu zeigen, und dabei natürlich immer eine Form in eine andere zu überführen, also die Metamorphose von einer Form in eine andere vorzunehmen. Die Grundlage dafür bilden die Metamorphosen, die wir aus der Pflanzenwelt oder aus der Tierwelt kennen. Das gibt es natürlich auch in der Menschenwelt. Isabel interessiert sich in besonderer Weise für die metaphysischen Qualitäten der Verwandlung, die in der Natur selber zur Geltung kommen. Metaphysik meint hier aber gerade nicht das Jenseits, sondern ist dem System der Pflanze selbst immanent.
Die Metamorphose, also das Verwandlungsgeschehen, lateinisch Transformation oder Transgression, können Sie hier in der Ausstellung an vielen Beispielen sehen. Blätter wie diese hier verkörpern übereinandergeschichtete Beziehungsebenen der Architektur, der Seele, des Bewusstseins, der Erinnerung. [Bild] Jeder kann von sich selber sagen, welcher Architektur der Erinnerung er frönt im Hinblick auf sein eigenes Leben oder die Geschichte der Menschen, die ihn interessieren, oder im Hinblick auf geschichtliche Tatbestände. Es ist immer dasselbe Verfahren. Es gilt, eine reflexive Form zu entwickeln. Selbstreflexive Formen sind dann die, die selber als Figur, als Physiognomie in Erscheinung treten, während die innere Entwicklung von außen nicht zu sehen ist. Diese Formen sind also bestimmt von einem Verfahren, das wir klassischer Weise in Bezug auf die Wiener Schule von etwa 1900 Psychosomatik nennen, also das Verhältnis von Psyche und Soma, Seele und Leib. Den Begriff gab es früher schon. Bei Descartes hieß es aber eben noch Metaphysik im Sinne der Übersetzung von „res cogitans“ – das sind die Gedanken – auf die Ebene der „res extensa“, d.h. auf das Ausgedehnte, das materiell Gegebene. Denn wir sehen die Welt als das, was gegeben ist: materiell-physisch. Physik ist das griechische Wort für das materiell Gegebene, inklusive des Menschen mit seinem Gehirn. Das Gehirn ist ja selbst ein Teil der Materie – mit dem Wunder, dem Rätsel, das diese etwas Metaphysisches hervorbringt, nämlich die Gedanken. Meta ist also das, was aus der Physis hervorgeht als Gedanken. Unser Gehirn erzeugt Gedanken, Gefühle, Vorstellungen – die ganze innere Welt der psychodynamischen Prozesse – aus der Materie selbst und wendet sie rückwirkend auf sich selber an, und nicht, wie herkömmlich behauptet, auf die Götter oder den Kosmos.
Die Dinge, die Gegenstände, wie Isabel sie versteht, verlangen auch eine solche Metamorphose. Deshalb nennt sie sich „Dompteurin der Dinge“. Die Dompteurin ist in der Lage, aus einem Ding etwas anderes entstehen zu lassen. Das ist die Arbeit an diesem Ding, die man sehen kann, die Transformation. Was ist die Metamorphose eines Wollknäuels? Die Entstehung eines Pullovers! Man kann das Wollknäuel aber auch in etwas anderes transformieren. Etwa in das, was Kafka „Odradek“ nennt. Oder in eine Garnrolle, wie sie früher die Kinder am Peitschenkreisel hatten.
Ein anderes Beispiel ist die Metamorphose eines Gefäßes, das ich als Behälter sehe, der die Innenwelt von der Außenwelt abgrenzt. Das ist genauso wie in der menschlichen psychosomatischen Beziehung: innen die Psyche – außen das Soma; innen die Seele, der Geist, die Vorstellung, die Erinnerung – außen das Gehirn als materielle Bedingung für die Gedanken, ein neuronaler Metabolismus, das heißt Stoffwechsel. Da sehen Sie, wie wichtig Meta ist. Ohne Stoffwechsel gibt es keine lebenden Systeme.
Die Gefäße haben aber nicht nur nach innen eine Form. Wenn ich zwei nebeneinanderstelle, entsteht im Zwischenraum zwischen zwei Gefäßen eine neue Form. Das nennt man „Zwei-Seiten-Form“. Und wenn Sie jetzt anfangen, künstlerisch zu denken, wird der Raum zwischen diesen beiden Einheiten plötzlich zum Gegenstand Ihrer Betrachtung. Diese Entscheidung ist bei der Dompteurin der Dinge ganz grundlegend im Hinblick auf alles, was Sie überhaupt wahrnehmen können. Das ist angeblich ein Pfeil, aber wenn ich diesen jetzt im Sinne der Zwei-Seiten-Form sehe, nämlich in Bezug auf die Benutzung, die Kulturtechnik, bei der der Pfeil zum Töten von Tieren abgeschossen wird, dann kann ich das auch metaphorisch auf Amor mit seinem Pfeil übersetzen. (Bazon Brock zeigt auf Werk Armour, eine Armbrust mit einer rosa Nelke) Da haben Sie die Revolution von Portugal in den 1970er Jahren, wo die Bevölkerung Blumen in Gewehrläufe gesteckt hat – aus Protest gegen das portugiesische Militär, das sich bei der Aufgabe der Kolonien nicht vernünftig verhalten sollte.
Wenn Amor jetzt also den Pfeil abschießt, dann ist der Effekt sichtbar. Es ist eine Form des Verlebendigens. Wenn jemand mit einem Pfeil auf ein Tier schießt, dann deswegen, um es zu essen. Das Essen ermöglicht ihm den Metabolismus, den Austausch mit dem System. Er lebt von dieser Art der Anverwandlung. Das ist im Psychischen ganz genauso. Wir leben davon, dass uns der Pfeil des Amors trifft, auch als Betrachter von Kunst. Der Betrachter hat ein Interesse daran, das, was die Künstlerin hier bietet, reflexiv für sich zu nutzen, obwohl er selber kein Künstler ist. Warum gehen wir ins Theater? Doch nicht, weil wir selber Heinrich VIII. sein oder Faust spielen wollen, sondern um es reflexiv für uns zu nutzen.
Wenn Isabel jetzt sagt, sie sei eine Dompteurin, dann heißt das, dass sie in ihrer künstlerischen Arbeit den Dingen abverlangt, die Zwei-Seiten-Form zu entwickeln. Sie tut das reflexiv, indem sie das Ganze auf sich bezieht, und gibt damit nach außen ein Beispiel für alle anderen. Aber nicht, weil sie Künstlerin ist oder eine bestimmte Rolle spielt, sondern weil sie dabei menschliche Grundvoraussetzungen bearbeitet. Das Seelenverhältnis aller Menschen beruht auf denselben Voraussetzungen. Alle Kulturen haben dieselbe Logik, dieselben Verbindlichkeiten, dieselben Formen der Übertragung. Das ist gerade das erhabene Gefühl und auch die Schlussfolgerung des Ganzen: Es geht darum die Autorität der Autorschaft, d.h. das Individualitätsprinzip des Künstlers als Beispielgeber für das allen Menschen Gemeinsame anzuerkennen.