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Introspektion

Daphne M. Gerzabek

Isabel Belherdis kommt von der Baukunst. Sie studierte Architektur in Graz und ging in ihren früheren bildnerischen Arbeiten vom Raum als Ort der Gestaltungssphäre aus. Inszenierte Handlungen in komplex geschichteten Raumebenen, die mittels Spiegelungen, einander überlagernden Flächen und Durchblicken einen einheitlichen Bildraum vermittelten. Dabei bezog die Künstlerin Licht-Schatten-Effekte, Stofflichkeit und Texturen mit ein und generierte so sinnlich-poetische Bildschöpfungen. Die angewandten Techniken waren und sind weiterhin Fotografie, Video, Performance und fallweise Installation.


Die Arbeiten für die Ausstellung CAGE AUX RÊVES – Käfig der Träume im Kunstraum Villach sind 2022 entstanden und sind Folge des Projekts Zurück von den Träumen. Zurück von den Träumen wurde im historischen Gewächshaus des Botanischen Gartens in Graz erarbeitet, erstellt und dort im Rahmen des Parallelprogramms des Steirischen Herbstes 2022 gezeigt.


Das Interesse bei CAGE AUX RÊVES – Käfig der Träume gilt vornehmlich historischen Persönlichkeiten und ihrem Tätigkeitsfeld: den Botanikern Hubert Leitgeb und Camille Montagne, dem Literaten Maurice Maeterlinck und dem Bauunternehmer Ignaz Gridl.


Die Fotobilder und inszenierten Objekte im realen Raum als Verweise auf die damit verbundenen Geschichten stehen in direktem Bezug zum Grazer Gewächshaus. Die sich daran weitläufig ausgedehnte Recherche führte Belherdis zu diversen Nebenschauplätzen. Den verästelten Spuren in der Geschichte folgend, dokumentiert sie bemerkenswerte Ereignisse, menschliche Phänomene und naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit subtilen Bildkompositionen.


Die Arbeiten Baisers enfermés, Cage aux rêves Nr 1 und 2, Handlungen sowie die Installationen zu Handlungen thematisieren unmittelbar das Gewächshaus als Ingenieurbauwerk und Käfig eigener Ansprüche. Hubert Leitgeb, Initiator und Begründer des botanischen Instituts in Graz samt Gewächshaus und botanischem Labor, unterlag der Last seiner Ansprüche und beendete sein Leben durch eigene Hand.

Anlass zur Reflexion bildet eine Beschreibung des exotischen Seegrases Vallisneria und seiner Bestäubungsart durch den Literaten Maurice Maeterlinck. Er sieht darin einen heroischen Liebesakt durch Aufopferung für den Fortbestand der Art. Diese metaphysische Aufladung spiegelt sich in den Arbeiten von Belherdis’ Cage aux rêves – self-recording, Transient Protection Nr. 1 und 2, Connaissance encapsulée, Vallisneria’s Trial oder Traumteile 1–5 (rêves imperfectes) wider.


Accuracy, Traversion, Spannungen, Im Possibility sind Fotoarbeiten, die sich auf Bauwerke von Ignaz Gridl beziehen, Brücken, Brückenteile und historische Brückenbaupläne, ebenfalls Beispiele des Ingenieurbauwesens des 19. Jahrhunderts. Die Interpretation der Künstlerin folgt einerseits der professionellen Arbeitshaltung, dem akkuraten Planen und Ausführen, andererseits der technischen wie ästhetischen Formgebung der Brückenkonstruktionen.


Historische botanische Abbildungen wie auch historische Dokumente bilden die Reflexionsfolie, sie werden überlagert von einer zweiten Fotoarbeit, die aus Performances, eigentlich Auto-Performances, wie sie die Künstlerin nennt, entstanden ist.


Für die limitierten Drucke, direkt auf Alu-Dibond, oder Drucke, auf Aluplatten kaschiert, werden die zwei Bildebenen, die hier durchlässige Sinnschichten bilden, überblendet, vergleichbar mit dem fototechnischen Effekt der Doppelbelichtung. Die zurückgenommene Farbigkeit der Abbildungen entspricht den durch Zeit und Raum verblassten Erinnerungsstücken der einst von Hingabe und unermüdlichem Eifer bestimmten Arbeitshaltung der genannten Persönlichkeiten.


Die Fähigkeit, sich in die eigene Arbeit zu versenken, darin Erfüllung zu finden und das ganze Leben darauf auszurichten, verlangt einerseits nach strenger Selbstdisziplin, führt andererseits zu einer gewissen Form von Einsamkeit bis hin zur Isolation, die man als Käfig der Träume deuten könnte. Sind es die Träume der anderen oder die eigenen? Jedenfalls: Es handelt sich hierbei um ein verborgenes Refugium des freien Geistes, in dem die unwahrscheinlichsten Ideen Form annehmen, manchmal, viel zu selten, aus dieser beschützenden Behausung heraustreten und Wirklichkeit werden, mitunter zu großen Taten werden. An den Bedingungen der wirklichen Welt ist jedoch schon mancher zerbrochen.


Sehr geeignet scheint die von Belherdis vor Jahren entwickelte Technik der Auto-Performance zu sein, um einem solchen Phänomen nachzuspüren. Die Performance, eine relativ junge Kunstform, angelehnt an theatralische Aufführungen, besitzt aktionistische Elemente und evoziert stets unmittelbare Reaktionen der Zuschauer bis hin zur Interaktion mit dem performenden Künstler. Vieles davon ereignet sich aber nur sehr subtil, die Wirkung im Raum, die Spannung durch die Aktion oder die bedeutungsvolle Handlung des ephemeren Ereignisses stehen dabei im Mittelpunkt.


Den Fotoserien sowie den Videos gehen genau genommen Performances voraus. Inszenierte Handlungsabläufe, in denen sich die Künstlerin aufgrund der Eigendynamik des Mediums frei spielt, sie führen zu Momentaufnahmen, die die Künstlerin als Fotografien isoliert oder als Videosequenzen zusammenschneidet. Belherdis definiert diese Arbeitsprozesse als Auto-Performances. Wesentlich ist: Es handelt sich nicht um Selbstporträts. Die Künstlerin sieht sich in der Rolle eines Menschen, der die bildliche Aussage durch Stimmung und Ausdruck transportiert. Die einzelnen Fotos zeigen Momente fragiler Intimität, durch die Fotografie sehr unmittelbar erzeugt, und stellen die eigentlichen Höhepunkte des Performanceprozesses dar.


Die konzentrierte Innenschau der Künstlerin Belherdis zeigt uns eine entschleunigte Welt. Zur Erreichung dieses Zieles geht sie methodisch vor. Sie verlangsamt in der Vorbereitung die Handlungen des alltäglichen Lebens, einem Ritual vergleichbar, um die aufkommende Stimmung, das erwachende Bewusstsein zu befördern, bestimmte Gefühlslagen zu evozieren, bis sie bereit ist konzentriert und doch frei, unbewußt vor der Kamera zu agieren. Requisiten werden arrangiert, technische Hilfsmittel wie Spiegel, Fäden, Blumen platziert, Bildelemente zu mehrschichtigen Sinn- und Formgebilden komponiert. Nach Herstellung dieses Rohmaterials arbeitet die Künstlerin in der Nachbearbeitung und Entwicklung der Lichtbilder weiter an deren Oberflächen- und Texturqualitäten. Isabel Belherdis verdichtet die Sinnschichten zu poetischen Bildwerken.

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